Wehr- und Sicherheitspolitisches Bulletin Nr. 9/9/25
Vor 15 Jahren, im Herbst 2010, begann aus wahltaktischen Gründen – eine Wien-Wahl stand bevor – die Diskussion über die Abschaffung der Wehrpflicht. Einerseits überraschend, andererseits Fortsetzung einer Politik, die schon in der Regierung Schüssel I (ÖVP-FPÖ, 2000–2003) eingeleitet wurde. In der 2001 unter Minister Herbert Scheibner (FPÖ) beschlossenen Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin wurde ein NATO-Beitritt als Option genannt. Kanzler Wolfgang Schüssel erklärte am Nationalfeiertag 2001: „Die alten Schablonen – Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität – greifen in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr.“
Unter Minister Günther Platter (ÖVP) in der Regierung Schüssel II (2003–2007) wurden verpflichtende Truppenübungen erst ausgesetzt, dann mit 1.1.2006 völlig abgeschafft. Grundlage waren Empfehlungen der Bundesheer-Reformkommission unter Helmut Zilk (2004), die die Landesverteidigung stark reduzieren wollte – nach dem Motto „wir sind nur von Freunden umgeben“. Kampftruppen sollten primär für Auslandseinsätze bereitstehen. Es ging nicht mehr um den „Bürger in Uniform“, der die Heimat schützt, sondern um Berufssoldaten mit rascher Verfügbarkeit (z.B. KPE).
Mythos Vorwarnzeit
Direkte Bedrohungen schienen überwunden. Man glaubte, Gefahren früh genug zu erkennen und binnen zehn Jahren die Verteidigungsfähigkeit wiederherstellen zu können. Putins Rede 2007 in München oder Russlands Georgien-Krieg 2008 hätten Warnsignale sein können. Doch unter den Kanzlern Alfred Gusenbauer und Werner Faymann (beide SPÖ) wurde das Heer weiter geschwächt. Legendär blieb das SPÖ-Plakat im Wahlkampf 2006. Es zeigte einen Eurofighter und wahlweise den Text: „Hier fliegt ihre Pensionserhöhung / Hier fliegt ihre Studiengebühr“. Die Wehrpflichtdebatte unter Minister Norbert Darabos (SPÖ) war dann symptomatisch. Minister Gerald Klug (SPÖ) musste Anfang 2014 eingestehen: „Wir haben den Boden des Fasses erreicht.“
Wegen Budgetkürzungen auf 0,5 % des BIP durch Finanzminister Michael Spindelegger (ÖVP) erfolgte im Herbst 2014 ein Kahlschlag, von dem sich das Bundesheer bis heute nicht völlig erholt hat. Die zeitgleich stattfindende Annexion der Krim wurde einfach ignoriert. Nach entsprechender ÖOG-Kritik trat Spindelegger aus der OG Wien aus – das Budget blieb minimal. Noch 2019 lehnte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im ORF-Sommergespräch eine Erhöhung des Heeresbudgets auf 1 % des BIP ab, da „der Panzerkampf im Weinviertel nicht mehr das Zukunftsbedrohungsszenario“ sei.
Wehrhaftes Österreich
Angesichts politischer Ignoranz ergriffen die wehrpolitischen Vereine die Initiative. 2010 begann die Zusammenarbeit, die im Sieg bei der Volksbefragung 2013 gipfelte. 2015 wurde der „Dachverband der wehrpolitischen Vereine Österreichs“ gegründet, die „Plattform Wehrhaftes Österreich“ umfasst heute über 20 Vereine mit ca. 250.000 Mitgliedern. Bei der 10-Jahres-Feier im Beisein von Generalstabschef Rudolf Striedinger wurde auf Erfolge zurückgeblickt. Als Sprecher dieser größten Bundesheer-Lobby erfüllt mich das mit Stolz. Der Festvortrag von Franz-Stefan Gady („Die Rückkehr des Krieges“) unterstrich jedoch die Notwendigkeit, materielle („Aufbauplan 2032+“) und personelle Anstrengungen („Mission Vorwärts“) zu intensivieren.
Wehrdienst-Kommission 2025
Die ÖOG kritisierte stets die Abschaffung der verpflichtenden Truppenübungen. Ohne Mannschaftsdienstgrade fehlen Zusammenhalt und Kampfkraft, zudem verlassen motivierte Kommandanten das Heer. Diese Probleme dokumentierte auch der Rechnungshof 2022. Dennoch blieb es beim Prinzip Freiwilligkeit, obwohl das Wehrgesetz (§21 Abs. 3) eine zwangsweise Einberufung von bis zu 12% eines Jahrgangs erlauben würde.
Im Juni 2025 – rund 20 Jahre nach der Abschaffung – nahm eine Kommission unter Leitung von GenMjr Erwin Hameseder und Bgdr Walter Feichtinger ihre Arbeit auf. Ihr Auftrag: „Modelle zur Weiterentwicklung des Wehr- und Zivildienstes sowie zur personellen Befüllung der Miliz.“ Bis Jahresende sollen drei Vorschläge an Ministerin Klaudia Tanner vorliegen. Der Dachverband und die ÖOG wurden nicht einbezogen, lediglich ein kurzfristiges Informationsgespräch fand statt.
Das „Österreich-Jahr“
Manche Medien vermuteten, mein Vorschlag für ein neues Modell habe zum Ausschluss geführt. Tatsache ist: In einem „Presse“-Interview regte ich ein „Österreich-Jahr“ an, was zu großem Medienecho und einem ZIB-2-Interview führte.
Das Modell: Stellungs- und Dienstpflicht für alle Staatsbürger – Männer und Frauen. Der jährliche Bedarf an Grundwehrdienern (z. B. 20.000) wird nach militärischen Kriterien festgelegt. Zuerst werden Freiwillige berücksichtigt, dann geeignete Taugliche nach Wertungsziffern. Die übrigen Tauglichen leisten Zivildienst. So ließen sich Personalengpässe in beiden Bereichen überwinden.
Für den Wehrdienst schlage ich ein „8+4-Modell“ vor: acht Monate Grundwehrdienst zur Ausbildung mit sofortiger Einsatzfähigkeit plus vier Monate verpflichtende Milizübungen zur Sicherung der Durchhaltefähigkeit. Bei Gleichbehandlung der Geschlechter wäre auch eine Gleichstellung von Wehr- und Zivildienst hinsichtlich der Dauer konsequent. Ein Malus für Zivildienst durch längere Dauer entfiele. Denkbar wäre eine gemeinsame Einstiegsphase mit Ausbildung in Staatsbürgerkunde, Erste Hilfe und Zivilschutz, was die staatliche Resilienz insgesamt stärkt.
Zur Frage der Frauenbenachteiligung: Bei 18- bis 20-Jährigen bestehen weder bei Schul- noch bei Berufsausbildung Unterschiede. Während des Österreich-Jahres sind Entlohnung und Aufstiegschancen ident. „Care-Pflichten“ spielen in diesem Alter kaum eine Rolle. Vielmehr eröffnen sich Frauen neue Berufswelten jenseits klassischer Rollen. Gerade die skandinavischen Länder, Vorreiter bei Gleichberechtigung, sind auch bei der Wehrpflicht am innovativsten.
Und welches Modell wird kommen? Bleibt alles ganz anders? Wir werden sehen …
Mag. Erich Cibulka, Brigadier
Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft