Die Position der Österreichische Offiziersgesellschaft
zu grundlegenden und aktuellen sicherheits- und wehrpolitischen Fragen
Positionspapier der Delegiertenkonferenz der ÖOG 1997
Präambel
Die ÖOG bekennt sich zur staatspolitischen Notwendigkeit des Unterhalts von ausreichend dimensionierten und ausgerüsteten Streitkräften für die Erfüllung nationaler und internationaler Aufgabenstellungen. Die Notwendigkeit von Streitkräften leitet sich nicht nur aus potentiellen und aktuellen Bedrohungs- und Bedarfssituationen ab, sondern vor allem auch aus dem notwendigen Selbstverständnis eines Staates mit der Verpflichtung seine Bürger schützen zu können und damit stabilitätsfördernd zu wirken und Bedrohungen möglichst gar nicht erst auftreten zu lassen.
1. Optionen in der österreichischen Sicherheitspolitik
Die grundlegenden Veränderungen im sicherheitspolitischen Umfeld Österreichs nach der Wende im Osten, haben eine Neuorientierung nicht nur in Europa, sondern auch in Österreich herbeigeführt.
Der Beitritt Österreichs zur EU, verbunden mit der Übernahme der Bestimmungen für eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ist ein wertvoller Beitrag zur Stabilität im geostrategisch bedeutenden Raum Zentraleuropa.
Der Beobachterstatus Österreichs bei der WEU als eine der Folgen der EU-Mitgliedschaft kann nur als ein erster Schritt zu einer WEU-Vollmitgliedschaft angesehen werden. Da die WEU der starke europäische Pfeiler im Nordatlantischen Bündnis sein soll, erscheint ein Beitritt zur WEU ohne zugleich auch der NATO beizutreten als realpolitisch unmöglich.
Das Bekenntnis der österreichischen Regierung zu den sogenannten Petersberg-Aufgaben (d.s. humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende und friedenschaffende Maßnahmen), die durch die WEU ausgearbeitet und durchgeführt werden können, verlangt politisch sinnvollerweise – auch wenn das nicht ausdrücklich verlangt sein sollte – eine Vollmitgliedschaft.
Aus den Erklärungen aus dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Bündnispartner und Partnerstaaten unter der Schirmherrschaft des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrates im Juli 97 in Madrid geht klar hervor, daß die NATO eine treibende Kraft in dem Prozeß der Herausbildung einer umfassenden europäischen Sicherheitsarchitektur sein wird. Die NATO und die EU teilen gemeinsame strategische Interessen und schaffen eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität in der NATO. Es entsteht eine neue NATO für ein neues und ungeteiltes Europa.
Schon 1956 wurde durch den Dreierausschuß über nichtmilitärische Zusammenarbeit innerhalb der NATO festgestellt, „daß die Sicherheit heute weit mehr ist, als eine rein militärische Angelegenheit“ .
So wird auch folgerichtig im derzeit gültigen strategischen Konzept der NATO aus dem Jahr 1991 festgestellt, „daß Sicherheit und Stabilität sowohl politische, wirtschaftliche, soziale und umweltpolitische Elemente als auch die unverzichtbare Verteidigungsdimension einschließen“.
Die Partnerschaft für den Frieden dient der Schaffung neuer Muster der praktischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheit. Sie gewährt jedoch nicht den Schutz des Artikel V des Nordatlantikvertrages, der nur den Vollmitgliedern vorbehalten bleibt.
Die Rolle der Vereinten Nationen wird weiter ihre Bedeutung behalten und als überregionales Gremium auch außereuropäische Sicherheitsinteressen behandeln und wahrnehmen.
Die OSZE als eine regionale Abmachung im Sinne des Kapitels VIII der Charta der VN wird weiter als ein bedeutendes Instrument für Konfliktverhütung, Förderung von Demokratie und Menschenrechte sowie der kooperativen Sicherheit angesehen.
Das Engagement Österreichs in diesen Gremien soll weiter ausgebaut werden, wenn gleich klar ist, daß insbesondere im militärischen Bereich die NATO-Strukturen bereits unverzichtbare Instrumentarien darstellen.
Schlußfolgerung:
Die ÖOG erwartet von den politischen Verantwortlichen Österreichs
- eine zeitgerechte Entscheidung in Österreich für die Option einer NATO-Vollmitgliedschaft, um 1999 bei dem Gipfeltreffen in Washington eine Einladung zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erhalten zu können, da eine innenpolitische Verzögerung einen weit über die Jahrtausendwende hinausgehenden Ausschluß von Sicherheits-, Informations- und Mitentscheidungsgewinn bedeutet,
- Umwandlung des Beobachterstatus bei der WEU in eine Vollmitgliedschaft
- die Aufgabe der Neutralität, die als spezifische Reaktion auf die sicherheitspolitische Situation der Vergangenheit in der Gegenwart und der absehbaren Zukunft, ihre Funktion verloren hat und
- eine inhaltlich sachliche Informationskampagne für die österreichische Bevölkerung, um staatspolitische Notwendigkeiten zu verstehen und einzusehen.
2. Die militärische Landesverteidigung
Das österreichische Bundesheer ist ein zentrales Mittel österreichischer Sicherheitspolitik. Es muß imstande sein, Aufgaben zur Selbstverteidigung Österreich, zur (präventiven) Bewältigung von Krisen und zur Grenzsicherung sowie zur österreichischen Beitragsleistung für eine international mit militärischen Mittel unternommene Stabilisierung des Friedens zu erfüllen. Die Fähigkeit zur Selbstverteidigung ist der primäre Beitrag Österreichs zur europäischen Stabilitätswahrung. Zur Erfüllung der an das Bundesheer gestellten Anforderungen bedarf es erheblicher Verbesserungen hinsichtlich der Realisierung einer entsprechenden Heeresgliederung sowie der Bereitstellung der zur Auftragserfüllung notwendigen personellen und materiellen Ressourcen. Nur so kann die erforderliche Glaubwürdigkeit im In- und Ausland erzielt werden.
3. Wehrsystem
3.1. Allgemeine Wehrpflicht
Aus staats- und sicherheitspolitischen Gründen ist an der allgemeinen Wehrpflicht festzuhalten. Da der Schutz vor äußeren Bedrohungen zu den primären Aufgaben des Staates zählt, ist dieser verpflichtet und berechtigt, alle hiezu erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Die Sicherstellung der personellen Ressourcen für die militärische Landesverteidigung ist daher unabhängig von allfälligen Überlegungen zur Steigerung der Attraktivität des Dienstbetriebes im Bundesheer zu gewährleisten. Die im Ausnahmefall zu gestattende Ableistung eines Wehrersatzdienstes als Zivildienst kann nur über eine entsprechende Verlängerung der Zivildienstdauer im Hinblick auf die Anzahl der Zivildienstleistenden gesteuert werden. Nur bei der Bereitschaft zur Ableistung des Zivildienstes in einer Dauer, die jene des Präsenzdienstes erheblich überschreitet, können bei den Zivildienstwilligen echte Gewissens- und keine Bequemlichkeitsgründe (z.B. Entfernungsverhältnis Dienst-/Wohnort) vermutet werden. Die ÖOG fordert daher nach wie vor eine Zivildienstlänge, die deutlich über jener Zeitspanne liegt, zu der ein Teil der Präsenzdiener gemäß Wehrgesetz ohne ihre Zustimmung verpflichtet werden kann (derzeit 6 Monate plus 60 Tage Truppenübung plus 60 Tage Kaderübung, das sind 10 Monate, wobei eine Verringerung der Ausbildungszeit sachlich nicht vertretbar ist). Um ein weiteres Ansteigen der Zahl der Zivildienstleistenden zu vermeiden, wird daher unverändert eine Zivildienstdauer von 16 Monaten gefordert, womit auch den Organisationen, die Zivildiener beschäftigen, gedient wäre. Eine Konkurrenzierung zwischen Bundesheer und jenen Organisationen, die Zivildiener beschäftigen, ist zu vermeiden.
Der politische Beschluß, Frauen auf freiwilliger Basis den Zugang zu Arbeitsplätzen für Soldaten zu ermöglichen, sollte nicht weiter verzögert, sondern rasch und effizient umgesetzt werden.
Zur Erfüllung der anstehenden Aufgaben im Rahmen der Katastrophenhilfe, Friedenssicherung und Verteidigung benötigt Österreich Streitkräfte mit einer Einsatzstärke, die durch eine reine Berufsarmee realistischer Weise nicht erreicht werden kann. Daraus läßt sich das klare Bekenntnis zu einer Heeresstruktur ableiten, die eine starke Milizkomponente beinhaltet. Darüber hinaus ergibt sich jedoch weiterhin die Notwendigkeit, zur Sofortreaktion eine ausreichende Anzahl von flexiblen und hochmobilen Kräften präsent zu halten.
Es erscheint daher angezeigt, eine Heeresgliederung zu realisieren, die sowohl ein mögliches Konfliktpotential im Umfeld Österreichs als auch die Entwicklung europäischer Sicherheitsstrukturen berücksichtigt und das know how einer Streitkräfteplanung und -führung erhält.
Weiters werden Komponenten vorzusehen sein, die im Falle einer Entschließung der österr. Bundesregierung einen Einsatz auch außerhalb des österreichischen Staatsgebietes zur Wahrung europäischer Sicherheitsinteressen oder zur Erfüllung der vor allem aus der Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen erwachsenden Aufgaben in globalem Rahmen vorgesehen sind, mit Kräften auf freiwilliger Basis ermöglichen. Die Entscheidung, ob es derartige Einsätze gibt, bleibt immer eine nationale Entscheidung und wird auch durch einen Bündnisbeitritt nicht automatisiert.
Das Konzept VOREIN stellt einen ersten, jedoch stark verbesserungswürdigen Ansatz dar.
Darüber hinaus werden die Kräfte des ÖBH, die im Anlaßfall aus Freiwillgen gebildet werden, aber auch zunehmend für Einsätze auszustatten sein, die über das bisherige „Peace-keeping“ hinausgehen und das gesamte Spektrum der „Peace support operations“ abdecken.
Es muß daher gewährleistet werden, daß eine Heeresgliederung folgenden Kriterien erfüllt:
- Die Grundsubstanz – in führungsmäßiger, ausbildungsmäßiger, infrastruktureller, technologischer etc. Hinsicht für einen neuerlichen Aufwuchs im Falle einer grundlegenden Änderung der strategischen Lage und der daraus erwachsenden Gefahr eines militärischen Großkonfliktes in und um Europa – muß, auch bei notwendigen Reduzierungen, erhalten bleiben.
- Die Verbände des ÖBH müssen durch führungsmäßige, organisatorische, ausbildungs- und ausrüstungsmäßige Verbesserungen beweglich und multifunktional einsetzbar werden. Nur so sind die Erfordernisse des nationalen und internationalen militärischen Bedarfs erfüllbar.
Schlußfolgerungen:
Die ÖOG erwartet von den politischen Verantwortlichen Österreichs
- die Beibehaltung des Systems der allgemeinen Wehrpflicht,
- die Erhaltung dieser staatspolitischen Notwendigkeit ohne aus wahltaktischen Gründen mit der Aufgabe der Wehrpflicht und der Einführung eines reinen Berufsheeres zu spielen.
3.2. Personalstruktur und Besoldung
Die Personalstruktur der Einsatzelemente des Bundesheeres ist wegen der dzt. gültigen Regelungen des BDG auch für Breufssoldaten durch Überalterung des Berufskaders gekennzeichnet. Diesem Umstand ist durch ein neues Personalmodell, durch eine funktionsorientierte Befristung für den Dienst in der Truppe und für Übungspflichtige unter Berücksichtigung von dienstlich gerechtfertigter Überschreitbarkeit Rechnung zu tragen. Für Berufskader ist ein würdiger Ausstieg aus dem militärischen Berufsleben vorzusehen, der eine materielle Absicherung (Pensionsanspruch, Übernahme in ziviles Dienstverhältnis u.a.) beinhaltet. Für Milizkader sind notwendige Aufstiegskarrieren zu schaffen bzw. ein würdiger Abschied bei Ausscheiden aus der MobFunktion in feierlicher Form vorzusehen; hierbei ist z.B. auch der freiwillige Auslandseinsatz entsprechend zu würdigen.
Grundsätzlich sind jene Voraussetzungen zu schaffen, die es ermöglichen, den Personaleinsatz nach moderen Gesichtspunkten qualifikations-, kosten- und altersgerecht zu strukturieren. An wichtiger Stelle steht hierbei auch die Forderung nach einer höheren Besoldung des Kaders und der Übenden. Die Forderung nach besserem Lohn ergibt sich vor allem auch dort, wo nicht wie bisher allgemeine Opferbereitschaft zur Verteidigung der Republik verlangt werden kann, sondern ein persönlicher mit Gefahren verbundener Einsatz für österreichische Repräsentanz und Solidarität im Rahmen eines internationalen Mandats erwartet wird.
3.3.Die Materialstruktur
Die Glaubwürdigkeit der militärischen Landesverteidigung hat sowohl beim österreichischen Staatsbürger als auch im Ausland vielfach darunter gelitten, daß das Bundesheer seit seinem Bestehen nur unzureichend materiell ausgestattet wurde. Das was vorhanden ist, darf auch nur selten gezeigt werden. Dadurch entstand der berechtigte Eindruck, daß das Bundesheer und somit die Republik Österreich den militärischen Auftrag insbesondere die Verteidigung teilweise nicht erfüllen könne.
Es ist daher auch ein Ausrüstungskonzept zu realisieren, welches das Bundesheer in Hinkunft verbindlich mit jener Ausrüstung und Bewaffnung versieht, die zur Auftragserfüllung im ganzen Einsatzspektrum notwendig sind und dem Staatsbürger das notwendige Vertrauen in die militärische Leistungfähikgeit gibt. Der Staatsbürger ist auch in einer ansprechenden Form über die Notwendigkeit sachlich zu informieren; die wahl- und tagespolitische Verwendung dieser staatspolitschen Fragen wird abgelehnt.
Die Fähigkeit zur Verteidigung der Republik Österreich sowie die Fähigkeit zur Teilnahme an internationalen Friedensoperationen und Katastrophenhilfsaktionen erfordert eine dem westeuropäischen Standard entsprechende Bewaffnung und Ausrüstung.
Die Absichtserklärungen und die eingeleiteten Realisierungsmaßnahmen hinsichtlich des dringend notwendigen Geräteersatzes bei der mechanisierten Truppe werden begrüßt.
Weiterer dringender Bedarf für Modernisierungen oder Ersatz vorhandenen alten Gerätes ergibt sich u.a. am KFZ-Sektor, bei der Fähigkeit zur Luftraumverteidigung von der Erde aus und in der Luft, hinsichtlich Erhöhung der Lufttransportkapazität (Fläche und Hubschrauber), bei der operativen Aufklärungssensorik, vom eigenen Land unabhängiger Logistik, Sanitätsausstattung und insbesondere bei der Mannesausrüstung/Mannesschutz.
Werden die dafür notwendigen Mittel für eine einsatzgerechte Ausrüstung nicht aufgebracht, scheint es der ÖOG unverantwortlich, von einem österreichischen Staatsbürger einen Einsatz für die Republik im In- und Ausland zu verlangen.
4. Budget
Das Budget stellt einen wesentlichen Faktor für die Effizienz der militärischen Landesverteidigung dar und sollte daher auf mindestens 2 % des BIP erhöht werden. Österreich liegt mit nicht einmal 1 % des BIP mit Abstand an letzter Stelle im europäischen Vergleich. Mit Reduzierungen, Einschränkungen, Umschichtungen innerhalb des Ressorts sowie eventuellem Verkauf von Liegenschaften wird sicherlich nicht jener Betrag erwirtschaftet werden können, der für eine vernünftige Investitionspolitik im Rahmen der Streitkräfteplanung benötigt wird.
Wenn Österreich auch in Hinblick auf sicherheitspolitische Anstrengungen internationalen Standard erlangen möchte, und wenn Österreich angesichts seines internationalen Engagements ein ernst zu nehmender Stabilitätsfaktor sein möchte, werden Mehrausgaben für die Verteidigung unausweichlich sein. Hierbei steht nicht „Aufrüstung“ im Vordergrund, sondern Ausgleich bisheriger Versäumnisse und Beschaffung dringenst benötigten Ersatzes.