Wehr- und Sicherheitspolitisches Bulletin Nr. 6/6/25
Anfang Mai fand in Oslo, Norwegen, ein Treffen der internationalen Offiziersgesellschaft (CIOR) statt. Der erste Konferenztag fiel zusammen mit dem „Tag der Freiheit“, an welchem dem Ende des 2. Weltkriegs gedacht wurde. Ausführlich wurde aber auch die Besetzung Norwegens durch die deutschen Truppen im Frühjahr 1940 analysiert:
Warum Norwegen 1940 militärisch unvorbereitet war
Im April 1940 begann mit dem „Unternehmen Weserübung“ die deutsche Besetzung Norwegens – ein blitzartiger Angriff, der das skandinavische Königreich militärisch und politisch überrumpelte. Obwohl der Weltkrieg schon 1939 begonnen hatte, war Norwegen nur unzureichend vorbereitet. Die Ursachen für diese Schwäche lagen tief – in politischer Naivität, strukturellen Defiziten und strategischen Fehleinschätzungen. Zentral war die norwegische Neutralitätspolitik. Im Vertrauen auf den Status als neutraler Kleinstaat glaubte die Regierung, vom Krieg verschont zu bleiben – wie schon im Ersten Weltkrieg und seit über hundert Friedensjahren. Warnungen über eine mögliche deutsche Aggression wurden ignoriert oder verharmlost. Diese politische Selbsttäuschung führte dazu, dass keine systematische Verteidigungsplanung erfolgte.
Militärisch war Norwegen dementsprechend schlecht aufgestellt. Die Streitkräfte waren schwach ausgestattet und kaum einsatzbereit. Es fehlte an moderner Bewaffnung, insbesondere an Flugabwehr, Panzerabwehrmitteln und einer schlagkräftigen Luftwaffe. Die Marine bestand größtenteils aus veralteten Einheiten, während die Armee weder über ausreichende Mobilisierungspläne noch über eine einheitliche Führungsstruktur verfügte. Nur wenige Einheiten waren im Frühjahr 1940 überhaupt einsatzbereit. Zudem herrschte eine fatale Fehleinschätzung der eigenen strategischen Bedeutung. Norwegen war für das Deutsche Reich ein entscheidender geografischer Faktor: Über norwegische Häfen wurde das kriegswichtige schwedische Eisenerz verschifft. Darüber hinaus boten die Fjorde ideale Stützpunkte für Kriegsmarine und Luftwaffe im Atlantikkrieg gegen Großbritannien. In Berlin war man sich dieser Vorteile bewusst – in Oslo nicht.
Die Besetzung Norwegens offenbarte damit nicht nur operative Schwächen, sondern auch die Risiken einer Sicherheitsstrategie, die sich auf politische Wunschvorstellungen stützte. Norwegen 1940 ist ein Lehrbeispiel für die Folgen mangelnder Weitsicht, strategischer Naivität und politisch motivierter Unterrüstung.
Norwegens Lehren aus dieser Niederlage waren eindeutig: Neutralität schützt nicht vor Übergriffen, wenn man geopolitisch relevant ist, aber militärisch schwach bleibt. Diese Erkenntnis bildete nach 1945 die Grundlage für eine grundlegende Neuausrichtung der norwegischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. 1949 trat Norwegen der NATO bei – ein radikaler Bruch mit der Vorkriegspolitik. Zwar wurde aus Rücksicht auf die Sowjetunion auf die dauerhafte Stationierung fremder Truppen verzichtet, doch Norwegen band sich eng an das westliche Bündnis. Die Verteidigungsstrategie setzte fortan auf Abschreckung, Kooperation und vernetzte Sicherheit. Diese Linie prägt das norwegische Selbstverständnis bis heute.
Trotz der NATO-Kooperation hat Norwegen zuletzt eine umfassende Modernisierung und Aufstockung seiner militärischen Kapazitäten eingeleitet. Derzeit umfasst die norwegische Armee etwa 27.000 aktive Soldaten und bis zu 140.000 Reservisten (bei ca. 5,5 Mio Einwohnern). Seit 2015 gilt die Wehrpflicht sowohl für Männer als auch für Frauen. Die Dienstzeit beträgt zwölf Monate in den regulären Streitkräften, gefolgt von sechs Monaten in der Heimwehr.
Norwegen hat seit 2014 jährlich zwischen 1,5 bis 2,0 % des BIP für Verteidigung aufgewendet. In einem Beschluss aller politischen Parteien wurde festgelegt, dass das Verteidigungsbudget auf 3 % des BIP erhöht und von 2025 bis 2036 in Summe über 160 Mrd Euro ausgegeben werden.
Was geht das Österreich an?
Österreichs sicherheitspolitische Situation im Jahr 2025 weist Parallelen zu Norwegens Lage vor der deutschen Invasion 1940 auf. Beide Länder setzen auf Neutralität und diplomatische Vereinbarungen, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Norwegen erkannte zu spät die strategische Bedeutung seines Territoriums und war militärisch unzureichend vorbereitet. Auch das Bundesheer ist derzeit materiell und personell schlecht vorbereitet. Unsere geografische Lage in der Tiefe – „wir sind nur von Freunden umgeben“ – wird häufig falsch beurteilt. Den wenigsten ist bewusst, dass das Donautal und die Alpenpässe Bewegungslinien von europäischer Bedeutung sind.
Österreich hat mit dem „Aufbauplan ÖBH 2032+“ eine umfassende Modernisierung seiner Streitkräfte eingeleitet. Dieser Plan sieht Investitionen von über 16 Milliarden Euro bis 2032 vor, um das Bundesheer technologisch und strukturell weiterzuentwickeln. Dazu gehören die Anschaffung moderner Luftabwehrsysteme, gepanzerter Fahrzeuge und die Erneuerung der Luftfahrzeugflotte. Trotzdem wird der Verteidigungsaufwand 2025 und 2026 nur knapp über 1 % des BIP liegen und sieht der derzeitige Bundesfinanzrahmen für die Jahre danach keine weitere Erhöhung vor, obwohl das Regierungsprogramm einen Anstieg auf 2 % des BIP ankündigt. Im internationalen Vergleich hinken Österreichs Anstrengungen weiter deutlich hinterher.
Der Aufbauplan erfordert eine langfristige finanzielle Planungssicherheit und eine konsequente politische Unterstützung. Zudem muss die Einsatzbereitschaft der Truppe durch regelmäßige Übungen in ihrer Reaktions- und Durchhaltefähigkeit erhöht werden. Dazu hält der Landesverteidigungsbericht 2024/25 unmissverständlich fest: „Mit dem aktuellen Mobilmachungsrahmen von 55.000 Soldatinnen und Soldaten ist ein Einsatz zur militärischen Landesverteidigung über einen längeren Zeitraum nicht durchhaltefähig. Der Personalumfang des ÖBH ist in der Friedensorganisation und in der Mobilmachungsorganisation mittelfristig zu erhöhen.“
Im Vergleich zu Norwegen 1940 befindet sich Österreich auf einem besseren Weg, seine Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Die aktuellen Maßnahmen zeigen ein höheres Bewusstsein für die sicherheitspolitischen Herausforderungen und die Notwendigkeit, darauf vorbereitet zu sein. Allerdings ist es entscheidend, dass die geplanten Reformen und Investitionen konsequent umgesetzt werden, um nicht in eine ähnliche Lage wie Norwegen damals zu geraten.
Zahlreiche Analysten gehen davon aus, dass Russland die Einheit der NATO und die Verteidigungsfähigkeit der EU testen und dazu bis 2029/30 die Voraussetzungen schaffen wird. Vor diesem Hintergrund besteht die Notwendigkeit, die österreichischen Anstrengungen noch zu steigern und nicht in Frage zu stellen.
Dazu formuliert der Landesverteidigungsbericht Handlungsfelder mit vier eindeutigen Zielsetzungen:
- Handlungsfeld Kampfkraft: Das ÖBH2032+ verfügt über ausreichend qualifiziertes Personal, ist mit modernen Waffen und Gerät ausgerüstet sowie willens und fähig, einen Angreifer zu besiegen.
- Handlungsfeld Reaktionsfähigkeit: Das ÖBH2032+ ist stets bereit, schnell und entschlossen auf Bedrohungen zu reagieren.
- Handlungsfeld Führungsüberlegenheit: Das ÖBH2032+ trifft auf Grundlage eines überlegenen Lagebildes die richtigen Entscheidungen.
- Handlungsfeld Durchhaltefähigkeit: Das ÖBH2032+ kann den Kampf länger als der Angreifer führen.
Die Stoßrichtung erscheint logisch und ist von einer umfassenden Risikoabschätzung abgeleitet. Ich überlasse den Realitätscheck jedem Lesenden selbst. Ich selbst bin – wie kürzlich in der ZIB 2 geäußert – skeptisch. Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte an der Uni Potsdam, sagte im deutschen Fernsehen: womöglich stehe „der letzte Sommer in Frieden“ bevor. Genießen Sie ihn also!
Mag. Erich Cibulka, Brigadier
Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft
Dieser Brief des Präsidenten wurde im „Offizier 2/2025“ veröffentlicht. Die elektronische Version finden sie hier zum Download und hier zum Blättern!